Blauwassersegeln ist mit vielen verschiedenen Segelbooten möglich, doch nicht mit allen ist es gleich komfortabel. Ich vergleiche hier verschiedene Rumpfformen und deren Eignung für eine ausgedehnte Blauwasserreise oder Weltumsegelung. Insbesondere werden hier Kurzkieler mit Langkielern und gemässigten Langkielern verglichen.
Wo fängt man an, wenn man gar keine Ahnung von Booten hat?
Klar, Anfängerinnen und Anfänger, die von einer Blauwasserreise träumen, surfen gerne in den gängigen Bootsbörsen und sehen sich verschiedene Bootstypen virtuell an. Auf den Messen betreten sie dann die Boote, die am häufigsten (wegen der grossen Stückzahlen) in den Verkaufsplattformen zu finden sind: Yachten von Grossserienwerften wie Jeanneau, Beneteau, Bavaria, Hanse, etc. Kaum andere Werften können es sich leisten, ihre Boote an teuren Messen auszustellen. Die Anfänger beurteilen den Innenraum, finden ihn schön modern, luftig und grosszügig.
Als nächstes machen die Anfänger vielleicht mal einen SBFS und einen SKS und dann geht es das erste Mal zum Chartern! Mit was für einem Boot? Na, ist doch klar, mit einem von einer Grossserienwerft. Das Bild von dem, wie ein Boot auszusehen hat und sich in der Welle zu bewegen hat, wird durch diese Erfahrungen geprägt und immer weiter gefestigt.
Wenn diese Seglerinnen und Segler dann auf die Suche nach einer Yacht für weltweite Fahrt gehen, wird logischerweise auch fast ausschliesslich diese Art von Boot in Betracht gezogen.
Bei den Kaufberatungen, die ich durchführe, ist es direkt am Anfang meine Aufgabe, den Leuten mitzuteilen, warum diese Boote sich nicht besonders gut für eine Weltumsegelung eignen. Und mit «diese Boote» meine ich nicht unbedingt Boote von grossen Werften sondern Kurzkieler mit ungeschütztem Ruder im allgemeinen (auch sehr hochpreisige Boote sind davon betroffen). Was also ist ein Kurzkieler? Was hat er für Vor- und Nachteile? Und was sind die Alternativen?
Kurzkieler kurz erklärt
Ein Kurzkieler ist – anders als viele Greenhorns denken – KEIN Boot mit besonders wenig Tiefgang. Ein Kurzkieler ist ein Boot, bei dessen Unterwasserschiff der Kiel nur einen geringen Teil der gesamten Fläche ausmacht, dafür aber meist mehr Tiefgang hat (schliesslich muss der Ballast so weit wie möglich nach unten, damit das Boot nicht kentert). Man könnte also sagen, ein Kurzkieler ist ein Segelboot mit einem schmalen, tiefgehenden Kiel. Das ist also das, was heutzutage bei 90% der Werften gebaut wird und was man in Häfen an Land zum Grossteil sieht. Für viele Anfänger ist das also das «normale» Bild – so hat ein Unterwasserschiff auszusehen.
Vorteile eines Kurzkielers
Ein Kurzkieler segelt, wenn gut konstruiert, bei passenden Windverhältnissen äussert spassig. Man kann gut Höhe laufen, erreicht beim Kreuzen gute Kurse zum Wind, erreicht gute Geschwindigkeiten und ist agil unterwegs. Perfekt also für Reviere wie das Mittelmeer oder die Ostsee, für einen schnellen Schlag nach Feierabend oder für eine Woche Buchthopping.
Nachteile eines Kurzkielers
Der Kurzkieler punktet bei wenig Wind und wenig Welle. Sobald es aber mehr wird, zeigen sich seine Schwächen. Ein Kurzkieler hat wegen der geringen Lateralfläche relativ viel Instabilität. Er wird von ungemütlicher Kreuzsee hin- und hergepfeffert und als Segler bekommt man das natürlich zu spüren. Gerade ein Kurzkieler mit einem sehr breiten Heck (wie heutzutage modern) rollt bei achterlichen Winden ganz fürchterlich. Segelt man gegen eine hohe Welle an, fährt der Kurzkieler die Welle hoch und kracht mit voller Wucht in ein Wellental.
Der Vorsteven ist bei modernen Kurzkielern nicht abgeschrägt sondern gerade, sodass das Eintauchen in eine Welle nicht sanft vonstatten geht, sondern das Schiff mit Karacho aufs Wasser schlägt. Das gesamte Rigg zittert, der Geräuschpegel im Schiffsinneren ist unglaublich (Ohrstöpsel sind hier absolut kein Witz, was jedoch auch an den immer dünner werdenden Laminaten liegt). Hier mal ein Beispiel von ca. 20 kn Wind:
Als Steuermann/frau hat man bei viel Wind auf einem Kurzkieler ganz schön viel zu tun: Ständig ist man damit beschäftigt, die unruhigen Schiffsbewegungen auszugleichen, Gegenruder zu geben, einen Sonnenschuss zu vermeiden. Elektrische Autopiloten bei Kurzkielern steigen bei diesen Bedingungen ganz gerne mal aus, weil sie nicht stark und agil genug sind, um das Schiff auf Kurs halten zu können. Gerade dann, wenn man sie am meisten gebrauchen könnte. Doch das gravierendste: Ein Kurzkieler kann sehr einfach querschlagen.
Querschlagen
Querschlagen entsteht, wenn das Heck von einer sehr hohen Welle angehoben wird und im Verhältnis zum Vorschiff beschleunigt. So, als würde das Heck den Bug überholen wollen. Durch die geringe Lateralfläche bei einem Kurzkieler kann diese Bewegung sehr schnell ablaufen. Der Druck auf dem Unterwasserschiff bewegt sich weiter Richtung Bug und das Boot wird dadurch zum Drehen bewegt. Besonders gravierend ist es, wenn man ein freihängendes Ruder hat wie auf einem Kurzkieler. Die Anströmung des Ruders reisst ab, das Ruder wird wirkungslos, sodass die Drehtendenz des Boots in dieser Situation ungehindert fortschreiten kann. Das Boot «schlägt quer», dreht sich also quer zu Welle und kann von der nächsten grossen Welle überrumpelt und durchgekentert werden. Ganz nett zu sehen in diesem kleinen Video:
Es gibt da noch was anderes
Der Langkieler
Genau so wie es verschiedene Autos für verschiedene Zwecke gibt – Stadtflitzer, komfortable Limousinen für die Autobahn und Offroad-Fahrzeuge -, gibt es auch verschiedene Bootstypen. Unter Anfängern wenig bekannt sind sogenannte Langkieler. Bei Langkielern verläuft der Kiel über die annähernd gesamte Länge des Unterwasserschiffs von Bug bis Heck. Durch die typische S-Spant-Form entsteht ein fliessender Übergang zwischen Rumpf und Kiel. Der Vorsteven ist abgeschrägt und die Form des Vorstevens wird im Unterwasserbereich so fortgesetzt, wie sie über Wasser losgegangen ist. Also, keine eckigen Übergange sondern fliessende Formen.
Behäbig und sicher
Da die Form des Unterwasserschiffes hydrodynamisch weniger effektiv ist und durch die grössere von Wasser benetzte Fläche mehr Reibung entsteht, sind Langkieler langsamer als Kurzkieler. Besonders bei wenig Wind macht sich das bemerkbar. Dass Langkieler bei gleicher Bootsgrösse oft schwerer sind, hilft natürlich nicht. Es dauert, bis Langkieler «anspringen». Ausserdem laufen sie weniger Höhe am Wind; das Kreuzen ist also weniger effektiv. Klingt alles für die Mittwochsregatta nicht sonderlich spassig, das ist wohl wahr. Und wenn man zusätzlich bedenkt, dass An- und Ablegen mit einem Langkieler keine Freude bereitet, da Rückwärtsfahren Lottospielen sein kann, werden viele für sich keine Gründe sehen, einen Langkieler zu kaufen.
Doch haben Langkieler riesige Vorteile. Sie sind seetüchtiger, stabiler, bewegen sich ausgeglichen und gutmütig in der Welle und sind bei viel Wind eine Freude zu segeln. Der Langkieler ist also, um den Vergleich mit Autos wieder heranzuziehen, ein Expeditionsmobil. Ein Unimog. Ein Kurzkieler ist eine Limousine – sagen wir, ein Audi A6.
Aufgrund der grossen Lateralfläche ist Querschlagen bei einem Langkieler so gut wie kein Thema – er fährt brav weiter geradeaus; und das Ruder ist meistens so gross wie ein Scheunentor, sodass die Anströmung eigentlich fast immer gegeben ist. Auch einen Sonnenschuss habe ich auf einem Langkieler noch nie erlebt.
Weitere Vorteile von Langkielern
Ein weiterer Vorteil von einem Langkieler ist der geringe Tiefgang (klar, es gibt auch Kurzkieler mit reduziertem Tiefgang, Schwenkkiel, usw. usf. – doch das ist ein Thema für sich). Wer sich zum Beispiel die Bahamas als Reiseziel setzt, sollte möglichst einen Tiefgang von weniger als 1,80m mitbringen. Und hat man mit einem Langkieler doch mal eine Grundberührung, so ist das Risiko von einem Kapitalschaden viel geringer als bei einem Kurzkieler mit Kielbolzen. Denn bei einem Langkieler ist der Kiel ans Schiff laminiert und von innen mit Blei oder einem anderen Ballast aufgefüllt. So ein Kiel reisst nicht einfach so ab.
Bei einem Kurzkieler wird der Rumpf laminiert und der Kiel (allermeistens) mittels Bolzen und Muttern nachträglich an den Rumpf geschraubt. Hat man eine Grundberührung, werden die Kielbolzen und das Laminat stark belastet (oft zu erkennen an Rissen im Laminat in der Bilge rings um die Bolzen). Es gibt auch Fälle, wo Kielbolzen aufgrund von Alterung plötzlich brechen und der Kiel vom Boot fällt. Der Ballast fehlt, das Boot hat kein aufrichtendes Moment mehr, kentert und bleibt wie ein Käfer auf dem Rücken liegen (bevor es absäuft).
Ein weiterer, nicht unerheblicher Vorteil eines Langkielers, wenn man länger damit unterwegs ist: Die tiefe Bilge. Oft befinden sich die Wasser- und Dieseltanks bei einem Langkieler im Kiel über dem eingelassenen Ballast. Bei einem Kurzkieler sind diese Tanks unter Sitzbänken und Kojen anzutreffen. Wer länger unterwegs ist, ist froh über zusätzlichen Stauraum.
Segler aus der Kurzkieler-Fraktion argumentieren, dass ein langsamer Langkieler mit schlechten Amwind-Eigenschaften ein Sicherheitsrisiko darstellt. Bei schlechtem Wetter könne man nicht «dem Wetter davonsegeln». Das mag stimmen, doch sind die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Lang- und Kurzkieler zwar signifikant, doch bewegen sich beide Boote auf einer absoluten Skala gesehen sehr langsam. Gepaart mit guten Wetterprognosen und täglichen Updates dank Satellitenkommunikation auf Langfahrt sehe ich die Vorteile eines Kurzkielers für dieses unwahrscheinliche Szenario als gering an.
Kompromiss gefällig?
Der gemässigte Langkieler
Es muss ja nicht der langsamste, schwerste aller Langkieler sein. Es gibt einen schönen Kompromiss, nämlich den gemässigten Langkieler. Der Kiel erstreckt sich nicht über die gesamte Rumpflänge, ist aber doch deutlich länger als bei einem Kurzkieler. Der Tiefgang ist meist etwas mehr als bei einem vollen Langkieler aber deutlich unter dem eines Kurzkielers. Der Kiel ist manchmal anlaminiert, doch manchmal auch mit Kielbolzen gesichert. Ein gemässigter Langkieler profitiert von ähnlicher Kursstabilität und Gutmütigkeit auf See wie ein Langkieler, lässt sich aber im Hafen noch einigermassen gut manövrieren (doch wie oft geht man auf Langfahrt in den Hafen?) und kann immerhin ein bisschen Höhe laufen (doch wer segelt auf Langfahrt schon gegenan?). Das Ruder ist meist an einem Skeg und daher nicht perfekt geschützt, aber viel besser als ein Spatenruder (hierzu wird es mal einen eigenen Blogpost geben). Daher ist der gemässigte Langkieler in unseren Augen die perfekte Rumpfform für eine längere Tour. Das beste aus beiden Welten. Sozusagen wie ein Toyota Land Cruiser mit Wohnkabine. Geländegängig aber handlicher als ein Unimog und man kommt damit zumindest noch auf den Aldi-Parkplatz.
Entscheide selbst
Es würde vermutlich keiner auf die Idee kommen, mit einem Audi A6 durch die Wüste bis nach Kapstadt zu fahren? Klar geht es irgendwie, doch wäre die gleiche Reise mit einem Offroadmobil deutlich entspannter und spassiger. Ob es nun ein Toyota Land Cruiser oder ein Unimog sein soll? Das bleibt dir überlassen.
Wenn du Unterstützung bei der Bootssuche benötigst, dann schau mal auf der Seite https://www.marietim.ch/bootskauf-beratung/